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Neues von den Agenturen nach Chemnitzer Vorbild

25.10.2023

Im ALT/BAU-Transfernetzwerk (2018-2021) ging es hauptsächlich darum, die Methoden der als URBACT Good Practice ausgezeichneten Agentur StadtWohnen Chemnitz auf europäische Städte mit ähnlichen Leerstandsproblematiken zu übertragen und die Methoden an die lokalen Gegebenheiten anzupassen. Städte im Netzwerk waren unter anderem Riga und Turin, die jedoch im Laufe des Transferprozesses zu der Erkenntnis kamen, dass die Gründung einer Agentur nach Chemnitzer Vorbild für sie nicht der beste Weg sei. Zahlreiche inhaltliche und strategische Ansätze adaptierten sie jedoch an ihre Gegebenheiten.  

Doch vier Städte des Netzwerkes gründeten eine ähnliche Agentur wie in Chemnitz. Dazu zählten Vilafranca del Penedès, Seraing, Rybnik und Constanța.
Martin Neubert von der Agentur StadtWohnen Chemnitz hatte in den vergangenen Monaten die Gelegenheit, sich vor Ort über den Entwicklungsstand in Seraing (Belgien) und Rybnik (Polen) zu informieren.

Rybnik: Neues vom Fischteich

Eine alte Werkssiedlung für Bergleute in der Kohle: zehn dreigeschossige Klinkerbauten an der Przemysłowa-Straße, einerseits Industrieanlagen in der Nachbarschaft, triste Freiflächen und einiges an Leerstand – andererseits eine attraktive Lage an einem See (Fischteich ist die wörtliche Übersetzung des polnischen Stadtnamens Rybnik). Freizeitflächen, Kirche, Bibliothek und Bahnhof sind von hier aus gut zu erreichen. Auch eine der beliebtesten Bäckereien der Stadt hat hier ihren Stammsitz.

 

   

Werkssiedlung in Rybnik - Sanierung mit Modulbauweise

In diesem Kontext geht die städtische Wohnungsgesellschaft ZGM neue Wege. Um angemessene Lebensbedingungen zu schaffen, unterzieht sie das erste der zehn denkmalgeschützten Gebäude einem radikalen Umbau. Das Haus wurde vollständig entkernt und mit vorgefertigten Modulen von innen heraus neu aufgebaut. Zehn Familien sollen hier zukünftig Wohnraum finden. Trotz höherer Kosten der Modulbauweise gibt es viele Vorteile dieser innovativen Herangehensweise: Die Gebäude werden in ihrem äußeren Erscheinungsbild erhalten. Grundrisse können durch die Modulbauweise deutlich flexibler gestaltet und auch wieder verändert werden. Und die Möglichkeiten zur technischen Erschließung und Energieeinsparung werden ausgeschöpft.

 

 

Bei einem Treffen mit Artur Gliwicki und Szymon Kiełkowski – den beiden Rybniker Projektkoordinatoren im Transfernetzwerk ALT/BAU – konnte Martin Neubert einige der Schauplätze der Altbauentwicklung der letzten Jahre besuchen. Neben dem Projekt in der Werkssiedlung interessierte ihn insbesondere das Haus in Bolesława-Chrobrego-Straße 13, in dem die Modulbauweise in Rybnik erstmalig zum Einsatz kam. Hier entstanden hinter der historischen Fassade (nicht zuletzt mithilfe von Förderprogrammen) Sozialwohnungen. Artur Gliwicki, Direktor der ZGM, hob insbesondere die barrierefreie Senioren-WG im Gebäude hervor, in der drei alleinstehende Damen zu günstigen Konditionen zusammenleben.

 

         

 

obere Fotoreihe: Bolesława-Chrobrego-Straße 13, Straßen - und rückwärtige Ansicht 

untere Fotoreihe: Neubau der TBS mit EInbindung zweier historischer Gebäude

 

Zwar konnte aufgrund politischer und organisatorischer Entscheidungen die Idee eines Altbaumanagements nach Chemnitzer Vorbild bisher nicht vollumfänglich in Rybnik adaptiert werden, aber neue Impulse wurden gesetzt. So war die Gründung des städtischen Tochterunternehmens TBS eine indirekte Folge des intensiven Austausch- und Diskussionsprozesses in der Stadt Rybnik im Rahmen des ALT/BAU Transfernetzwerkes. Als Leuchtturmprojekt der TBS wird aktuell der Neubau auf einer Brachfläche zwischen der Altstadt und dem Fluss Nacyna in Angriff genommen und zwei historische stadtbildprägende Gebäude in den Entwurf eingebunden.

Auch die Gründung einer Koordinierungsstelle Altbaumanagement ist noch nicht gänzlich vom Tisch, unterstützt durch neue Gesetzgebungen und Fördermöglichkeiten.
Aktuell wird geklärt, welcher Träger diese Aufgabe in Rybnik übernehmen kann. Im Gespräch ist zum Beispiel die Soziale Vermietungsagentur (SAN).
 
Und zu guter Letzt: Auch die Stadt selbst engagiert sich für die Revitalisierung stadtbildprägender Brachen. Beim ALT/BAU Kick-off-Meeting im Mai 2018 wurden die Teilnehmer durch die altehrwürdigen Hallen eines alten Krankenhauses geführt. Es war Wirkungsort des bekannten deutschen Arztes Julius Roger (1819-1865). In seinem Geiste wurde das „Edukatorium Juliusz“ als Bildungs- und Erlebnisort gestaltet, in dem seit der Sanierung mit Ausstellungen und Experimentiermöglichkeiten der menschliche Körper interaktiv erlebbar gemacht wird.

 

 

Außen- und Innenansicht des Bildungszentrums Juliusz

 

Seraing: Cité de demain – Stadt der Zukunft


Bereits im September besuchte Martin Neubert das belgische Seraing, das eine Nachbarstadt Lüttichs ist. Bei einem Rundgang durch die Stadt und im Austausch mit Bénédicte Borckmans von der städtischen Entwicklungsgesellschaft ERIGES gab es viel zu entdecken, denn seit dem Kick-Off-Meeting des ALT/BAU Netzwerkes am 28.-29. Januar 2019 hat sich in der 64.000-Einwohner-Stadt eine Menge getan.

 

 

neu angelegte Parkanlagen in der von Schwerindustrie geprägten belgischen Stadt Seraing

Ähnlich wie Chemnitz durchlebt auch Seraing einen fundamentalen Strukturwandel durch den demografischen Wandel und nach dem Wegfall seiner Schlüsselindustrien. In Seraings Fall waren das die Stahlwerke im Maas-Tal, die nicht nur die Landschaft, sondern auch die Identität der Stadt stark prägen. Doch was bleibt, wenn die Industrieflächen, die ein Drittel der Stadtfläche ausmachen, zu weiten Teilen brachfallen? Was passiert mit den Menschen und ihren Wohnhäusern, wenn die Lebensgrundlage fehlt? Wie kann sich die Stadt neu erfinden?

Mit einem groß angelegten Masterplan arbeitet die Stadt Seraing an ihrer Neuerfindung. Hilfe bekommt sie dabei von der Region Wallonien und nicht zuletzt von der Europäischen Union. In großem Maßstab wurden die alten Hüttenwerke abgebrochen, Werksgebäude baulich gesichert und Altlasten saniert. Schrittweise werden Nutzungskonzepte umgesetzt, die Industrieareale zeitgemäß erschlossen und neue Gebäude errichtet. Aktuell wird das bis vor kurzem völlig verwahrloste Viertel Ougrée an der Lütticher Stadtgrenze grundlegend umgekrempelt. Der Bahnhof wird in die Stadtstruktur eingebunden, Brücken errichtet und Gewerbeflächen nutzbar gemacht. Ein neuer Campus mit Studentenwohnheimen für die Universität Lüttich entsteht auf einem alten Fabrik- und Krankenhausgelände an der Maas. Das alte Kulturhaus der Stahlwerker wird zur neuen Kultur- und Eventlocation OM.

 

 

Das alte Kulturhaus der Stahlwerker als modernes Veranstaltungszentrum

Doch was passiert mit den alten Wohngebäuden – meist schmale zwei- bis dreigeschossige Reihenhäuser, häufig mit kleinen Läden im Erdgeschoss? Wie können bei der Vielzahl von Eigentümern, dem schlechten Image der Stadt als Wohnstandort und der allgemein schlechten Bausubstanz Veränderungen in die Wege geleitet werden?

 

 

Typische Bebauung in Seraing

Ein wichtiger Impuls für Seraing konnte durch das europäische Transfernetzwerk ALT/BAU eingebracht werden: Aufbauend auf der Idee und der erfolgreichen Arbeit der Agentur StadtWohnen Chemnitz bei der Wiederbelebung unsaniert leerstehender Wohngebäude begann die städtische Entwicklungsgesellschaft ERIGES mit der Dokumentation und Aufbereitung des Wohngebäudebestandes in der Stadt. Mehrere Pilotprojekte konnten durchgeführt werden.

Hinweis auf die Agentur in Seraing durch ein Gebäudebanner

Mit dem Pôle Habitat wurde eine Anlaufstelle geschaffen, die Gebäudeeigentümer zu ihren Wohngebäuden berät und lösungsorientiert Hilfen anbietet. Das Thema der energetischen Sanierung – auch hinsichtlich der Fördermöglichkeiten – entwickelte sich dabei in den vergangenen zwei Jahren zum Ausgangspunkt für eine intensive Zusammenarbeit mit den Eigentümern. Als besonders erfolgreich haben sich regelmäßige öffentliche Informations- und Beratungstermine vor Ort in den Wohngebieten der Stadt erwiesen, die oft die Grundlage für die Beantragung von finanziellen Unterstützungen und schließlich für die Modernisierung der Gebäude legen.

 

 

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